Als Tierhalterhaftung wird bezeichnet, dass nach dem deutschen Schuldrecht der Tierhalter grundsätzlich für die Schäden haftbar gemacht werden kann, die das Tier anrichtet.
Tierhalter
Die Haltereigenschaft definiert sich – unabhängig vom Eigentum – nach der Sachherrschaft über das Tier und einem eigenen Interesse an der Verwendung oder der Gesellschaft des Tieres. Nach der Formel des Bundesgerichtshofes ist darauf abzustellen, „in wessen Gesamtinteresse das Tier gehalten wird und wessen Wirtschaftsbetrieb oder Haushalt es dient“. Dabei soll die Eigenschaft als Tierhalter durch „eine vorübergehende Aufgabe der unmittelbaren Verfügungsgewalt über das Tier oder eine vorübergehende Besitzentziehung“ nicht beendet werden.
Verwirklichung der typischen Tiergefahr
Diese Gefährdungshaftung ist bedingt durch die spezifische Tiergefahr. Die Tierhalterhaftung „ist gleichsam der Preis dafür, daß andere erlaubtermaßen der nur unzulänglich beherrschbaren Tiergefahr ausgesetzt werden.“ „Eine typische Tiergefahr äußert sich [...] in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres“. Diese verwirklicht sich jedenfalls, wenn das Tier unberechenbar reagiert. Sie soll sich aber auch dann verwirklichen können, wenn das Tier sich (ergänze: auf den ersten Blick) lediglich passiv verhält. So soll beispielsweise auch dann eine Tierhalterhaftung begründet sein, wenn ein Hund lediglich im Wege liegt und der Geschädigte über ihn stolpert. Dies soll jedenfalls dann der Fall sein, wenn sich das Tier zuvor selbständig an diese Stelle begeben hatte.
Haftung ohne Verschulden – § 833 S. 1 BGB
Die Haftung nach § 833 Satz 1 BGB greift ausdrücklich auch ohne Verschulden des Halters ein: „Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ Es handelt sich somit um eine Form der Gefährdungshaftung.
Möglichkeit der Exkulpation bei Nutztieren – § 833 S. 2 BGB
Die Möglichkeit einer Exkulpation durch Entlastungsbeweis besteht bei sogenannten Nutztieren: „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.“ (§ 833 Satz 2 BGB). Die Tiere, die (wegen des fehlenden Erwerbszwecks der Haltung) keine Nutztiere im Sinne des Satzes 2 § 833 sind, werden als Luxustier bezeichnet. Somit gilt für Luxustiere die Haftung verschuldensunabhängig als Gefährdungshaftung. Für Nutztiere besteht dagegen eine „Haftung für vermutetes Verschulden“ oder länger eine „Verschuldenshaftung bei gesetzlich vermutetem Verschulden“. Keine Luxustiere, sondern Nutztiere im Sinne der Tierhalterhaftung sind beispielsweise auch Polizeihunde und -pferde sowie Blindenführhunde. Allerdings soll der Entlastungsbeweis nach herrschender Meinung nicht möglich sein, wenn keinerlei (wirtschaftliche) Erwerbszwecke, sondern gemeinnützige Zwecke verfolgt werden – wie bei zu Therapiezwecken gehaltenen Reitpferden eines Idealvereins. Ebenfalls ausgeschlossen ist der Entlastungsbeweis bei Tieren, die keine Haustiere darstellen. „Haustiere sind [...] diejenigen Gattungen von zahmen Tieren, die in der Hauswirtschaft zu dauernder Nutzung oder Dienstleistung gezüchtet und gehalten zu werden pflegen und dabei aufgrund von Erziehung und Gewöhnung der Beaufsichtigung und dem beherrschenden Einfluss des Halters unterstehen.“ Daher sollen Honigbienen keine Nutztiere im Sinne des § 833 Satz 2 BGB sein, denn sie seien keine Haustiere, da es bei ihnen an der „genügenden Verfügungsgewalt des Tierhalters/Imkers“ fehle.
Haftungsbegrenzung, Versicherung
Nach der gesetzlichen Vorschrift des § 833 BGB ist die Haftung betragsmäßig nicht begrenzt. Eine Haftungsbegrenzung kann jedoch vertraglich ganz oder teilweise vereinbart werden. Gegen die finanziellen Folgen der Haftung kann eine Tierhalterhaftpflichtversicherung abgeschlossen werden.
Rechtsgedanke des Mitverschuldens
Die Regelungen des Mitverschuldens nach § 254 BGB können als allgemeiner Rechtsgedanke auf Ansprüche aus § 833 BGB angewandt werden, wenn auch die Tiergefahr eines anderen Tieres den Schaden mit verursacht hat. Relevant ist dies beispielsweise für Fälle von Kämpfen zwischen zwei Hunden, bei denen einer der Halter verletzt wird.
Haftung des Tieraufsehers
Der Tieraufseher, also derjenige, der die Aufsicht über ein Tier eines Tierhalters durch Vertrag übernimmt, haftet in gleichem Umfang wie der Tierhalter selbst (§ 834 BGB).
Literatur
- Dieter Werkmüller: Tierhalterhaftung. In: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann, Dieter Werkmüller (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 1. Auflage. Band 5. Erich Schmidt, Berlin 1998, Sp. 231–237.
- Regine Schmalhorst: Die Tierhalterhaftung im BGB von 1896 (= Rechtshistorische Reihe). Lang, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Wien 2002, ISBN 3-631-39197-8.
- Reinhart Geigel, Robert Geigel, Erwin Abele: Der Haftpflichtprozess. 25. Auflage. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56392-8, Kap. 18: Haftung des Tierhalters (§ 833 BGB) und des Tieraufsehers (§ 834 BGB).
- Alexander Werner: Die Tierhalterhaftung, das Reichsgericht und die Ziege im Streichelzoo. In: NJW. Nr. 15, 2012, S. 1049.
Weblinks
Einzelnachweise




